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Public Service-Onlineangebote und „internetspezifische Gestaltungsmittel“

Public Service-Onlineangebote und „internetspezifische Gestaltungsmittel“

14.01.2021

Die gesetzliche Forderung nach "internetspezifischen Gestaltungsmitteln“ für neue öffentlich-rechtliche Angebote führt zu einem Paradigmenwechsel bei der Konkretisierung des Programmauftrags im Netz: Neben programminhaltlichen Anforderungen müssen nun auch softwarebasierte Ordnungslogiken berücksichtigt werden.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bieten neben den klassischen Radio- und Fernsehprogrammen viele mediale Inhalte auch online an. Seit 2009 hat der Gesetzgeber einen ausdrücklichen Auftrag im Rundfunkstaatsvertrag vorgesehen, der den Rundfunkanstalten ermöglicht, auch telemediale Inhalte zum Abruf bereitzuhalten. Im aktuellen Medienstaatsvertrag sieht der gesetzliche Rahmen einen expliziten telemedienbezogenen Auftrag vor (§ 30 MStV), der eine Reihe an besonderen inhaltlichen Anforderungen enthält (§ 30 Abs. 3, 4 MStV).
 
Über die konkrete Ausgestaltung solcher Telemedien entscheidet allerdings nicht der Gesetzgeber, sondern die jeweilige Rundfunkanstalt selbst. Bevor neue Telemedienangebote online gehen, durchläuft ein geplantes oder verändertes Angebot zunächst ein Prüfverfahren – den sog. Drei-Stufen Test (vgl. § 32 Abs. 4 bis 7 MStV). Findet dieses Prüfverfahren einen positiven Abschluss, darf die Rundfunkanstalt das neue Online-Angebot umsetzen und kann dafür entsprechende Mittel vom Rundfunkbeitrag aufwenden.
 
Beurteilungsgrundlage für das dreistufige Prüfverfahren ist ein sogenanntes „Telemedienkonzept“ (§ 32 MStV). In diesem beschreibt die Rundfunkanstalt die Charakteristika des Angebots und erklärt, auf welche Weise es zum öffentlich-rechtlichen Auftrag beitragen wird. Der MStV macht konkrete Vorgaben dafür, welche Aspekte das Telemedienkonzept zu berücksichtigen hat: Mit Blick auf die Erfüllung des Programmauftrags soll es Aussagen dazu enthalten, „inwieweit das neue Telemedienangebot (…) den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht“, „in welchem Umfang durch das neue Telemedienangebot (...) in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen wird“ und „welcher finanzielle Aufwand für das neue Telemedienangebot (…) erforderlich ist“ (§32 Abs. 4 MStV). Zu den weiteren Informationen, die ein Telemedienkonzept enthalten muss, gehören neben der inhaltlichen Ausrichtung auch die Angabe der Zielgruppe, des Inhalts, der Ausrichtung, der Verweildauer, zum Ansatz des Ausschlusses presseähnlicher Angebote sowie zur „Verwendung internetspezifischer Gestaltungsmittel“.
 
Der Begriff dieser „internetspezifischen Gestaltungsmittel“ ist spannend, weil damit seit 2019 eine Anforderung an die Inhalte der Telemedienkonzepte hinzugekommen ist, die nicht weiter definiert ist, aber das Zeug für einen (kleinen) Paradigmenwechsel bei der Konkretisierung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags im Netz haben kann. Nach der gesetzlichen Begründung soll mit dem neuen Begriff zum Ausdruck gebracht werden, „dass die öffentlich-rechtlichen Telemedienangebote dynamisch an die technische Entwicklung im Internet angepasst werden können und sollen. In Betracht kommt eine Vielzahl spezifischer Darstellungsformen, wie z. B. multimediale Darstellung, Unterstützungen durch Suchvorschläge, Verlinkungen, Live-Aktualisierung, Animationen, Individualisierungen und Personalisierungen, zeitsouveräne Nutzung von Medieninhalten und andere Möglichkeiten der Video- und Audionutzung, Audiodeskription, Untertitelung oder interaktive Elemente.“
 
Diese Auflistung ist bemerkenswert, weil sie zum ersten Mal nicht nur an programmliche Inhalte und Darstellungsformen anknüpft, sondern auch Aspekte der Inhalteaggregation, -selektion und -priorisierung anspricht, z. B. Suchvorschläge oder Individualisierungen und Personalisierungen. Damit nimmt der Gesetzgeber Bezug auf softwarebasierte Ordnungslogiken des Angebots.

Das erste Telemedienkonzept nach Inkrafttreten des 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrags war das „ZDF-Telemedienänderungskonzept (2019–2020)“ im August 2019, das die gesetzliche Anforderung an die Darstellung auch der internetspezifischen Gestaltungsmittel umzusetzen hatte. Und bereits dieses Telemedienkonzept zeigt, welche neue Perspektive und Innovationskraft die Vorgabe entfalten kann: So spricht das ZDF-Telemedienkonzept davon, dass jegliche Personalisierung das „öffentlich-rechtliche Gebot ausgewogener thematischer Vielfalt (Diversität) aus Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung“ berücksichtige und bestätigt, dass zu „den Fragen der algorithmischen Personalisierung und Empfehlung (…) der Fernsehrat unterrichtet“ wurde (S. 17f.). Dieser Komplex sei ein „fortlaufender, sich ständig weiter entwickelnder Prozess“ (S. 18).
 
Auf Ebene der Rundfunkanstalten folgt also aus der Anforderung, die internetspezifischen Gestaltungselemente in Telemedienkonzepten darzulegen, eine Pflicht der Konkretisierung des vieldimensionalen Programmauftrags an die öffentlich-rechtlichen Angebote mit Blick auf softwarebasierte Automatisierungsverfahren und algorithmische Selektionsentscheidungen. Das ist nicht trivial, waren die Programmaufträge doch in erster Linie als programminhaltliche Anforderungen gedacht. Die Vorgabe bietet aber die Chance für die Anstalten insgesamt, für ihre Aufsichtsgremien und für die Redaktionen und Software-Entwickler*innen in den Häusern, die inhaltsbezogene Auftragslogik auch für Softwareinfrastrukturen und algorithmische Implementationen und Konfigurationen zu übersetzen.
 
Dabei werden unweigerlich Fragen des Verhältnisses der Programmaufträge untereinander auftauchen. Wie verhält sich etwa der Informationsauftrag im Rahmen personalisierter Telemedienangebote, die optimal dem Informationsbedürfnis des Einzelnen entsprechen können, zu dem Vielfaltsgebot der möglichst umfassenden Darstellung der bestehenden Meinungen? Wie können Bildungs- und Unterhaltungsauftrag in einer theoretisch unbeschränkt großen Mediathek zueinander in Verhältnis gesetzt werden? Und welche Relevanz können zukünftig partizipatorische, nutzergenerierte Inhalte innerhalb der Online-Angebote spielen?

Es ist derzeit gut zu erkennen, dass die Anstalten diese Fragen als laufenden und sehr dynamischen Prozess verstehen. Dazu gehören auch Überlegungen wie die von Thomas Bellut und Ulrich Wilhelm, die in der ZEIT diskutieren, wie sich ihre Sender bestmöglich den Herausforderungen digitaler Netzwerklogiken stellen. Der rechtliche Rahmen bietet hier zukünftig die Möglichkeit, den Technikeinsatz mit dem gemeinwohlorientierten Anspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks innovativ fortzudenken. Die „internetspezifischen Gestaltungselemente“ sind dabei der zentrale Übersetzungsriemen zur Integration von programmauftraglichen Werten in öffentlich-rechtliche Mediensoftware.
 
Einen wissenschaftlichen Blick auf diese Fragen wirft das derzeit laufende Projekt „Coding Public Value“. Das vom bidt geförderte Konsortialprojekt, an dem das Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut beteiligt ist, identifiziert die rechtlichen Anforderungen sowie die gesellschaftlichen und stakeholderseitigen Erwartungen an öffentlich-rechtliche Software, etwa im Bereich von Suchfunktionen, Empfehlungssystemen und automatischen Inhaltefiltern. Durch Interviews, Dokumentenanalysen und gemeinsame Workshops soll das Forschungsprojekt im engen Austausch mit Rundfunkanstalten und Stakeholdergruppen Optionen für die zukünftige Konkretisierung und Umsetzung von softwarebezogenem „Public Value“ aufzeigen, die dann ggf. in zukünftigen Telemedienkonzepten aufgegriffen werden könnten. Spannend ist das Projekt auch, weil es die Implementation von rechtlichen und gesellschaftlichen Anforderungen sowie von anstaltseigenen Werten in Softwareentwicklungsprozesse untersucht, die besonderen Herausforderungen dabei aufzeigt (z. B.: Wer legt eigentlich den anzulegenden Vielfaltsbegriff und seine Dimensionen in Software fest?) und mögliche Methoden und Ansätze auf Ebene des Software Engineering sowie der internen Organisationsstruktur vorstellt. Das Projekt läuft von 6/2020 bis voraussichtlich 5/2023.

Foto: Tim Mossholder / unsplash

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