Weltweit werden jährlich mehr als 2,5 Millionen neue wissenschaftliche Studien publiziert. Wie entscheiden Journalist*innen, über welche Studien sie berichten? Eine Befragung unter 104 Wissenschaftsjournalist*innen gibt Auskunft.
Das Ansprechen einer breiten Öffentlichkeit gehört neben der Forschung und der Lehre mittlerweile zu den Kernaufgaben von Universitäten und Forschungseinrichtungen. Diese sogenannte „Third Mission“ wird im Zukunft noch stärker vom Bundesregierung gefördert. Obwohl die direkte Kommunikation mit Bezugsgruppen, etwa mit Hilfe von eigenen Social-Media-Kanälen, in den vergangenen Jahren einfacher geworden ist, ist der redaktionell organisierte Wissenschaftsjournalismus weiterhin sehr wichtig für die öffentliche Verbreitung von Forschungsergebnissen.
Wie aber wählen Wissenschaftsjournalist*innen die Studien, über die sie berichten aus? Welche Quellen schätzen sie als relevant ein und warum? Werden Studien später häufiger zitiert, wenn sie in Wissenschaftssendungen oder den Wissenschaftsseiten von Nachrichtenmedien besprochen wurden? Diesen Fragen geht das BMBF-geförderte Projekt „Medien und Wissenschaftliche Kommunikation“ (MeWiKo) nach, an dem verschiedene deutschen Forschungseinrichtungen – das ZBW Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, die Christian-Albrechts-Universität (beide Kiel) und das Universitätsrechenzentrum Leipzig – sowie das Science Media Center Germany (SMC) beteiligt sind.
Journalistische Auswahlprozesse erforschen
Am HBI befassen wir uns im Rahmen von MeWiKo insbesondere mit der Frage, welche Mechanismen und Prozesse die Auswahl wissenschaftlicher Themen im Journalismus bestimmen. Neben der Beobachtung von wissenschaftsjournalistischen Redaktionen gibt auch eine repräsentative Befragung unter Wissenschaftsjournalist*innen in Deutschland Aufschluss über entsprechende Anlässe, Quellen und Selektionskritieren.Die Befragung wurde im Sommer 2019 unter mehr als 700 beim Science Media Center Germany (SMC) akkreditierte Wissenschaftsjournalist*innen verteilt, von denen letztendlich 104 teilnahmen. Sie berichten vor allem über Themen aus den Lebenswissenschaften, Geowissenschaften, Naturwissenschaften und auch den Sozialwissenschaften. Es stellte sich heraus, dass nicht nur die Veröffentlichung neuer wissenschaftlicher Studien ein wichtiger Anreger für die Berichterstattung ist, sondern, dass aktuelle Ereignisse oder politische Themen, die wissenschaftlich eingeordnet werden können, genauso wichtige Anlässe sind.
Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit von Forschungseinrichtungen sinkt
Die oben erwähnten vermehrten Medienaktivitäten wissenschaftlicher Akteure spiegeln sich in den Quellen wieder, über die die Befragten erste Informationen zu neuen wissenschaftlichen Befunden bekommen. Neben journalistischen Medien und den Angeboten des Science Media Centers wurden Pressemeldungen von Universitäten, Eilmeldungen wissenschaftlicher Journals und der direkte Kontakt mit Wissenschaftlicher*innen am häufigsten genannt. Fragt man aber nach der Relevanz der Quellen, sinkt die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit von Universitäten und Förderungseinrichtungen. Stattdessen werden Nachrichtenagenturen wie DPA oder Reuters sowie spezifische wissenschaftsjournalistische Presseportale wie EurekAlert!, aber auch die wissenschaftlichen Journals oder die beteiligten Wissenschaftler*innen selbst als Informationsquelle bevorzugt.
Ausschlaggebend sind wissenschaftliche Qualität und einfache Zugänglichkeit
Liegt den Journalist*innen eine wissenschaftliche Studie dann vor, entscheiden sie sowohl nach bekannten Nachrichtenkriterien als auch nach wissenschaftlichen Qualitätsmerkmalen, ob sie über die Studie berichten. Eher positiv wirkt sich zum Beispiel aus, wenn die Studie eine hohe wissenschaftliche Relevanz besitzt, wenn die Resultate dem Publikum dabei helfen, sich eine fundierte Meinung zu bilden oder wenn sie große wirtschaftliche Konsequenzen haben können. Die Berichterstattung wird unwahrscheinlicher, wenn nicht klar ist, inwiefern die Resultate der Studie valide oder verlässlich sind oder welche Methoden genau benutzt wurden. Auch die Zugänglichkeit spielt eine Rolle: die Chance für Berichterstattung erhöht sich, wenn es zum Thema der Studie vorgefertigte Experten-Statements gibt (wie sie zum Beispiel das Science Media Germany liefert), während Paid-Access oder eine unbekannte Original-Sprache der Studie sich negativ auswirken.
Neue Akteur*innen in der Wissenschaftskommunikation
In einem nächsten Schritt werde ich das Science Media Center Germany erforschen. Es hat sich seit seiner Gründung 2016 zu einem wichtigen neuen Akteur in der Wissenschaftskommunikation entwickelt. Seine Mitarbeiter*innen fassen neue wissenschaftliche Studien zusammen, recherchieren einordnende Expert*innenaussagen, und verteilen diese, meistens während die Studien noch unter Sperrfrist stehen, unter derzeit mehr als 700 akkreditierte Wissenschaftsjournalist*innen in Deutschland. Eine 4-wöchige ethnographische Feldarbeit in der Redaktion des Science Media Centers wird Auskunft geben über Auswahlpraktiken, Umgang mit Quellen und die Expertensuche. Diese Befunde werden dabei helfen, die Leitfrage des MeWiKo-Verbundes zu beantworten und zu klären, inwiefern die wissenschaftsjournalistische Berichterstattung innerhalb der Wissenschaft wiederum einen Impact hat.