Element 68Element 45Element 44Element 63Element 64Element 43Element 41Element 46Element 47Element 69Element 76Element 62Element 61Element 81Element 82Element 50Element 52Element 79Element 79Element 7Element 8Element 73Element 74Element 17Element 16Element 75Element 13Element 12Element 14Element 15Element 31Element 32Element 59Element 58Element 71Element 70Element 88Element 88Element 56Element 57Element 54Element 55Element 18Element 20Element 23Element 65Element 21Element 22iconsiconsElement 83iconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsiconsElement 84iconsiconsElement 36Element 35Element 1Element 27Element 28Element 30Element 29Element 24Element 25Element 2Element 1Element 66

MEDIA RESEARCH BLOG

Blog Header Background Image
Zur Übersicht
„Wir machen Journalismus mit Haltung und dazu stehen wir“

„Wir machen Journalismus mit Haltung und dazu stehen wir“

12.01.2022

Zivilgesellschaftliches Engagement findet oft im Kleinen statt. Das Magazin Veto will engagierten Menschen eine Stimme geben und auf ihre tägliche Arbeit aufmerksam machen. Im Interview spricht Textchefin Dr. Susanne Kailitz-Kunz über Engagement, ihr Publikum und Journalismus mit Haltung.
 
von Tim van Olphen
 
Ob Klimakrise, die Aufnahme von Geflüchteten oder auch das Aufkommen der AfD – regelmäßig führen Themen wie diese zu hitzigen Debatten über Verzicht, politische Bildung, Ausgrenzung oder Radikalisierung. Längst bewegen diese Diskussionen aber nicht mehr nur wenige Menschen, sondern sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und beschäftigen viele Bürger*innen.
 
Laut den Gründer*innen und Chefredakteur*innen von Veto, Dr. Susanne Kailitz-Kunz und Tom Waurig, ist es auch höchste Zeit, sich aktiv einzumischen – und anderen zu zeigen, wie das funktionieren kann. Gemeinsam gingen Kailitz-Kunz und Waurig 2019 mit einem Blog online, um jede Woche einen engagierten Menschen zu portraitieren und die tägliche Arbeit der Engagierten zu würdigen. Seit 2020 gibt es dazu viermal im Jahr ein gedrucktes Heft. Das Ziel der beiden: Mut machen, konstruktive Beispiele präsentieren, Ideen liefern und allen engagierten Menschen zeigen, dass sie nicht allein sind. ­
 
Im Zuge des Projekts „Journalismus und sein Publikum: Die Re-Figuration einer Beziehung und ihre Folgen für journalistische Aussagenentstehung“, mit dem Prof. Dr. Wiebke Loosen und Julius Reimer herausfinden wollen, wie Journalist*innen mit der wachsenden Komplexität ihres Publikums umgehen, haben wir mit Dr. Susanne Kailitz-Kunz gesprochen. Das Interview führten Julius Reimer und Miriam Wollenweber. Ich bin als wissenschaftliche Hilfskraft ebenfalls am Projekt beteiligt und habe einige der spannendsten Aussagen für den Blog zusammengetragen:
 
 
Im Fokus Ihrer Berichterstattung stehen engagierte Menschen, die aktiv etwas verändern wollen. Was für eine Art Engagement ist das genau, über das Sie schreiben?
Im Grunde jedes. Für uns sind Menschen interessant, die der Ansicht sind, dass sich die Welt verbessern lässt, indem sie selbst Verantwortung übernehmen. Wir versuchen in unserer Berichterstattung die gesellschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen, aber immer mit dem Fokus: Was bedeutet das für die Zivilgesellschaft? In fast jeder Redaktionskonferenz haben wir unzählige Themen, über die wir gern schreiben würden. Wir reißen uns dann aber immer am Riemen und sagen: Die Themen müssen für engagierte Menschen relevant sein oder ein besonders interessantes Engagement darstellen. Die engagierten Menschen, über die wir schreiben, sind gleichzeitig auch unsere Zielgruppe, für die wir schreiben. Das ist deckungsgleich.
 
Sie schreiben also nicht nur über engagierte Menschen, sondern auch für sie. Wie finden Sie denn die Protagonist*innen für Ihre Artikel?
In der Regel finden wir unsere Protagonist*innen über die Themen, die wir interessant finden. Oft sind das auch Menschen oder Themen, die uns persönlich begegnet sind, die spannend sind und sich mit dem zivilgesellschaftlichen Sektor verknüpfen lassen. Wir reagieren wenig auf Pressemeldungen oder Informationen von Trägern oder Organisationen. Das ist für uns nicht relevant, weil das häufig nur Termingeschichten sind. Ich glaube, wenn man mit der gebotenen Neugier durch die Welt geht, Zeitung liest, Fernsehen schaut oder beispielsweise auch auf Twitter oder Instagram aktiv ist, gibt es immer Input und neue engagierte Menschen und spannende Themen, über die sich schreiben lässt. Viele mögliche Gesprächspartner*innen kontaktieren wir dann auch direkt über die sozialen Netzwerke. Die haben alle gar nicht mehr so eine klassische Website mit einer persönlichen E-Mail-Adresse oder einem Management- oder Pressekontakt.
 
Welche Bedeutung haben soziale Medien denn darüber hinaus für Ihre Arbeit?
Wir haben generell gemerkt, dass es für unsere Verbreitung und für den Verkauf des Magazins wahnsinnig wichtig ist, dass wir in den sozialen Netzwerken vorkommen. Wir profitieren davon, wenn uns Kolleg*innen auf Twitter loben oder unsere Texte weiterempfehlen. Und es ist noch viel wichtiger, dass wir auf Instagram stattfinden. Dort sind wichtige Meinungsmacher*innen und Identifikationsfiguren, die uns in ihren Stories verlinken und weiterempfehlen. Das habe ich anfangs unterschätzt, aber ohne das geht es nicht.
 
Sie sagten, dass Ihnen engagierte Menschen oder Aspekte rund um das Thema Engagement auch persönlich begegnen. Heißt das, Sie kennen Ihre Zielgruppe genau?
Wir kennen unsere Bubble schon ganz gut, wir können schon ein bisschen verorten, was das für Menschen sind. Das sind tendenziell eher Menschen mit guter Bildung, die politisch eher links von der Mitte angesiedelt sind. Ganz häufig sind das junge Leute, die sehr sensibel sind bei gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, sich für einen bestimmten, nachhaltigen Lebensstil interessieren, auf ihren Konsum achten und vegan oder vegetarisch leben. Und natürlich denken wir bei der Auswahl von Themen und Texten schon sehr stark an die Interessen dieser Zielgruppe. Dazu gehört auch, dass wir konsequent gendern: Wir haben uns da für eine bestimmte Form entschieden und sprechen von „Menschen“, damit es auch wirklich inklusiv ist. Das klingt jetzt vielleicht wenig bedeutsam; wir wissen aber, dass das ein wichtiger Faktor für unsere Leser*innen ist.
 
Sprache wird beim Thema Inklusion ja auch häufig eine wichtige Rolle zugeschrieben...
Ja, und wir legen großen Wert darauf, weil wir wissen, dass wir viele Abonnent*innen und Leser*innen aus der queeren Community haben. Und da wollen wir respektvoll und achtsam sein. Genauso werden wir aber auch von People of Color gelesen. Wir versuchen, in jedem neuen Text wirklich ganz genau darauf zu achten und herauszufinden, welche die richtigen Begrifflichkeiten sind, die wir dann benutzen. Wir versuchen eine Sprache zu sprechen, die möglichst alle anspricht. Natürlich wollen wir ein breites Publikum erreichen, aber wir dürfen nicht die Menschen aus den Augen verlieren, die extremen Wert auf Sprache legen und denen eine solche Berichterstattung wichtig ist.
 
Welchen Einfluss hat das Publikum denn noch auf Ihre Texte und Ihre Berichterstattung? Achten Sie auch schon bei der Recherche auf seine Wünsche?
Nein. Was wirklich publikumsorientiert ist, ist die Sprache – aber nicht die Recherche. Wie wir arbeiten, wie wir auf ein Thema kommen und es aufbereiten, wie wir recherchieren und unser Umgang mit Informationen sind unabhängig davon, für wen wir schreiben. Wir tun nicht so, als wären wir ein neutrales oder objektives Medium. Das sind wir nicht, wir machen Journalismus mit Haltung, und dazu stehen wir. Aber wir binden unser Publikum auch nicht in die Themenauswahl mit ein.
 
Natürlich stand auch für uns die Frage im Raum, wie stark wir unser Publikum mit einbeziehen. Aber es hat uns auch total widerstrebt, Leute etwa darüber abstimmen zu lassen, welche Themen wir bearbeiten oder mit welchen engagierten Menschen wir sprechen. Unsere Unabhängigkeit wollen wir uns bewahren, da sagen wir ganz klar, das entscheiden wir. Das entscheiden wir nach unseren Standards der redaktionellen Arbeit und anhand von journalistischen Kriterien. Ich glaube, dass die Art wie wir arbeiten und recherchieren, nichts mit den Wünschen unseres Publikums zu tun hat. Was wir nicht machen, ist eine Form von Gefälligkeits-Journalismus.
 
Sie sprachen von Journalismus mit Haltung. Wodurch unterscheidet sich diese Art der Berichterstattung von Aktivismus?
Die Aussage, dass wir Journalismus mit Haltung machen, bedeutet im Grunde den Abschied von dem Anspruch, neutral zu sein. Ich glaube, dass es Neutralität im Journalismus nicht geben kann. Unser großer Vorteil ist, dass wir sowieso schon eine bestimmte Vorauswahl in unserer Berichterstattung und den Themen haben und nicht in irgendeiner Form künstlich neutral sein müssen. Die Unterscheidung zwischen Journalismus und Aktivismus ist für uns möglicherweise eine Sache, die nicht ganz trennscharf ist. Wir sehen unsere redaktionelle Arbeit auch als Unterstützung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Natürlich kann man uns vorhalten, dass wir uns mit einer bestimmten Sache gemein machen, aber das ist letztlich gewollt. Wir sind ein Special-Interest-Medium mit einer gewissen Haltung und arbeiten dennoch ganz normal nach journalistischen und redaktionellen Kriterien.
 
Wie nehmen Sie das Feedback des Publikums wahr? Wie reagieren Ihre Leser*innen auf Ihre Berichterstattung?
Wir haben im Grunde zwei Wege für uns entdeckt, auf denen wir merken, dass das, was wir machen, gut ist und positiv aufgenommen wird. Der eine Weg ist sehr direkt, dass neue Artikel oder neue Magazin-Ausgaben von den Menschen auf allen möglichen Social-Media-Kanälen geteilt werden. Oder, das gilt besonders für das gedruckte Heft, wir merken, dass viel über die neue Ausgabe gesprochen wird und unsere Bestellungen und Abos steigen. Daran sehen wir das ganz direkt.
 
Beispielsweise haben wir in einem der letzten Hefte eine Bildstrecke über Schwarze engagierte Menschen in Deutschland gemacht. Und wir haben aus der Community positive Rückmeldungen darüber bekommen und sehr aufgeatmet, weil wir ein echtes Problem hätten, wenn die sagen würden, das ist richtiger Mist. Wir brauchen die Verankerung in der Zielgruppe. Das ist für uns wichtiges Feedback, dass die Zielgruppe uns sagt: Was ihr macht, ist gut.
 
Und Ihre Protagonist*innen? Geraten die durch den Fokus, der auf ihnen liegt, teilweise in die Schusslinie?
Wir haben schon festgestellt, dass für viele engagierte Menschen der Wind rauer wird. Es gibt heutzutage eine viel geringere Hemmschwelle, Leute zu bepöbeln, die etwas machen, was anderen nicht gefällt. Die bekommen Kommentare und Briefe, werden zum Teil richtig bedroht. Viele Menschen, die sich kümmern und engagiert sind, haben daher auch dieses Gefühl, dass sie das ganz allein machen.
 
Deshalb würden wir niemals so über eine*n Gesprächspartner*in schreiben, dass sie/er zum Schluss in irgendeiner Form beschädigt ist. Das machen wir nicht. Natürlich geben wir bestimmten Menschen eine Bühne und eine Stimme. Wenn wir aber merken, dass ein*e Engagierte*r eine Position hat, bei der unklar ist, ob dieser Person irgendwann einmal aufgelauert wird, dann schreiben wir kein Portrait. Das kann man voreingenommen nennen, aber wir schaden nicht unseren eigenen Protagonist*innen.
 
Zum Abschluss unseres Gesprächs: Wenn Sie persönlich Ihrem Publikum eine Botschaft zurufen könnten, wie würde die lauten?
Ihr macht das gut. Ihr macht das gut, ihr seid wichtig. Es ist fein, dass es euch gibt.

 
 
Titelbild: © veto-mag.de
 
                                                                               
Unsere Blogreihe „Journalismus und sein Publikum“ präsentiert Gespräche mit Medienschaffenden über die Beziehung zu ihren Leser*innen, Hörer*innen und Zuschauer*innen. Die Interviews entstanden im Rahmen unseres Forschungsprojektes Journalismus und sein Publikum: Die Re-Figuration einer Beziehung und ihre Folgen für journalistische Aussagenentstehung.

Weitere Artikel

mehr anzeigen

Newsletter

Infos über aktuelle Projekte, Veranstaltungen und Publikationen des Instituts.

NEWSLETTER ABONNIEREN!