Zur Refiguration von Wissenschaftskommunikation. Ein analytischer Rahmen
Uwe Hasebrink, Stephan Dreyer, Claudia Lampert, Hermann-Dieter Schröder & Hans-Ulrich Wagner
Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg
Wissenschaft, die sich auch als Akteur versteht, der zur Wahrnehmung und Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und Probleme beiträgt, muss sich damit auseinandersetzen, wie und von wem in dem jeweils relevanten Feld Wissen nachgefragt, verarbeitet und umgesetzt wird. Der erste Ausgangspunkt für den vorgeschlagenen Vortrag ist es daher, dass die im Call for Papers zu dieser Tagung aufgeworfenen Fragen nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik feldspezifisch zu beantworten sind. Der zweite Ausgangspunkt ist das Interesse an der Frage, wie sich der aktuelle Wandel von Medien und Kommunikation in strukturellen Veränderungen der Wissenschaftskommunikation niederschlägt. Daraus ergibt sich folgende Leitfrage: Wie verändert sich die Rolle von Wissenschaft im Zusammenspiel mit anderen Akteuren bei der Bestimmung von relevanten Fragestellungen, bei der Beurteilung empirischer Evidenz und bei der Entwicklung von Handlungsstrategien? Ziel des Vortrags ist es, einen analytischen Rahmen vorzustellen, der diese Frage zu untersuchen erlaubt, und diesen am Beispiel zweier Forschungsfelder zu veranschaulichen.
Die Verständigung darüber, was in einem bestimmten Gegenstandsbereich als relevante Fragestellung, was als gesicherte empirische Evidenz, was als gut begründete Handlungsempfehlung betrachtet wird und in entsprechende Handlungsorientierungen einfließt, vollzieht sich in sozialen Zusammenhängen, die sich als
kommunikative Figurationen analysieren lassen (Hepp/Hasebrink 2017). Aus dieser an den Figurationsbegriff von Norbert Elias angelehnten Perspektive werden soziale Zusammenhänge – in diesem Fall Felder der Wissenschaftskommunikation – im Hinblick auf ihre Akteurskonstellation, ihren Relevanzrahmen und ihre kommunikativen Praktiken untersucht. Zur Illustration dieses analytischen Rahmens werden in dem Vortrag zwei Forschungsfelder als Beispiele herangezogen: die Rolle von Medien für Kinder und Jugendliche sowie die Aufgaben und Funktionen gemeinwohlorientierter Medien. In beiden Feldern ist die Kommunikationswissenschaft in vielerlei Weise an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligt. Nicht im Sinne einer empirischen Untersuchung, sondern auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen mit transferorientierten Projekten werden diese beiden Felder anhand der genannten analytischen Kategorien – Akteurskonstellation, Relevanzrahmen und kommunikative Praktiken – beschrieben und im Hinblick auf die Leitfrage diskutiert, wie sich Wissenschaftskommunikation im Zuge des Wandels von Medien und Kommunikation "refiguriert":
- Strukturelle Basis jeder kommunikativen Figuration ist eine Akteurskonstellation, ein Netzwerk von Akteuren, die in einer bestimmten Machtbalance und durch aufeinander bezogene kommunikative Praktiken wechselseitig miteinander verbunden sind. Im Falle von Wissenschaftskommunikation stellt sich die empirische Frage, welche Akteure sich an der Wissensproduktion, -verbreitung und -umsetzung beteiligen – und welche nicht. Eine Ausgangsannahme ist, dass die jüngsten Veränderungen der Medienumgebungen unter anderem zur Folge haben, dass sich – neben der Wissenschaft selbst, der Politik, den professionellen Medien und den jeweiligen unmittelbar betroffenen Institutionen – zusätzliche Akteure an der Wissenschaftskommunikation beteiligen; dazu gehören etwa kleinere Interessengruppen, aber auch nicht-organisierte Einzelpersonen. Dies hat wiederum Konsequenzen für das Verhältnis der beteiligten Akteure untereinander – also etwa für die im Fokus dieser Tagung stehende Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik.
- Jede kommunikative Figuration ist gekennzeichnet durch einen Relevanzrahmen, der handlungsleitend für die Praktiken ihrer Akteure und deren wechselseitige Ausrichtung aufeinander ist. Dieser Relevanzrahmen definiert das „Thema“ und entsprechend die Sinnorientierung der kommunikativen Figuration. Für konkrete Felder der Wissenschaftskommunikation ist im Hinblick auf diese Kategorie zu untersuchen, an welchen Leitbildern sich die Akteure orientieren – beim Thema "Kinder und Medien" etwa Medienkompetenz oder neuerdings Kinderrechte, beim Thema "Gemeinwohlorientierte Medien" etwa Public Value. Ein für die Wissenschaftskommunikation wichtiger Aspekt des Relevanzrahmens sind die jeweils vorherrschenden methodologischen Prioritäten und Präferenzen, anhand derer sich entscheidet, ob quantitative oder qualitative Methoden, Befragungsdaten oder physiologische Messungen oder digitale Spuren, Querschnitt- oder Längsschnitt-Designs oder Experimente als maßgebliche Grundlage für ernstzunehmende empirische Evidenz angesehen werden.
- Kommunikative Figurationen werden konstituiert durch kommunikative Praktiken, die verwoben sind mit weiteren sozialen Praktiken und sich auf ein Ensemble verschiedener Medien stützen. Das klassische Medienensemble der Wissenschaftskommunikation, also vor allem Fachzeitschriften, Monographien und Konferenzvorträge, hat sich bereits seit längerem erheblich ausdifferenziert und umfasst unter anderem journalistische Medien, Fortbildungsveranstaltungen, Blogs und Social Media-Aktivitäten. Auch wenn sich verschiedene Felder der Wissenschaftskommunikation in ihren bevorzugten kommunikativen Praktiken unterscheiden, lässt sich doch ein allgemeiner Trend zur Ausdifferenzierung dieser Praktiken beobachten: Die Art und Weise, wie sich die Mitglieder der jeweiligen Akteurskonstellation über ihr Thema verständigen, wird vielfältiger, die jeweilige empirische Evidenz wird in sehr unterschiedlichen Formen und Kontexten vermittelt, die mit sehr unterschiedlichen Geltungsansprüchen verbunden sind.
Wissenschaftskommunikation in einem konkreten Feld als kommunikative Figuration zu untersuchen, zielt ab auf eine ganzheitliche Perspektive: Die drei analytischen Kategorien sind eng aufeinander bezogen und können nicht ohne die jeweils anderen beschrieben werden. Mit der exemplarischen Rekonstruktion der Wissenschaftskommunikation in zwei Forschungsfeldern im Hinblick darauf, welche Akteure sich mit Hilfe welcher kommunikativer Praktiken über relevante Fragestellungen, angemessene Methoden und begründete Handlungsempfehlungen verständigen, soll der Vortrag einen spezifisch kommunikationswissenschaftlichen Beitrag zur Erforschung von Wissenschaftskommunikation leisten. Das Konzept der kommunikativen Figurationen dient dabei als Schnittstellenkonzept, das helfen kann, in transdisziplinären Forschungsfeldern relevante Forschungsfragen und notwendige Wissensgrundlagen zu identifizieren, die zur Lösung gesellschaftlich relevanter Probleme beitragen können.
Literatur:
Hepp, Andreas; Hasebrink, Uwe (2017): Kommunikative Figurationen. Ein konzeptioneller Rahmen zur Erforschung kommunikativer Konstruktionsprozesse in Zeiten tiefgreifender Mediatisierung. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 65(2), S. 330-347