Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 hat ein Team des HBI im Projekt „Platform Governance im Superwahljahr 2021“ Echtzeitdaten darüber gesammelt, wie Online-Plattformen die auf ihnen stattfindende Kommunikation regeln, wie Gesetze und lokale Standards interagieren und sich die Praktiken der Plattformen im Schatten der EU-Regulierung in der aufgeheizten Atmosphäre der Bundestagswahl verändern. Eine Artikel-Serie auf dem Media Research Blog des HBI begleitete die Recherchen und informierte laufend über deren Ergebnisse. Einige der Blog-Artikel werden hier im Arbeitspapier zweitveröffentlicht. Das Projekt wurde von reset.tech gefördert.
- Eine Version 2.0 mit geringfügigen Änderungen vom 02.02.2022 ist unter https://doi.org/10.21241/ssoar.76248.v2 verfügbar.
- Zum freien Download: Hofmann, Vincent; Kettemann, Matthias C. (Hrsg.) (2021): Plattformregulierung im Superwahljahr 2021. Ergebnisse rechtswissenschaftlicher, sozialwissenschaftlicher und datenwissenschaftlicher Studien zu Parteien und Plattformen im Bundestagswahlkampf. Hamburg: Hans-Bredow-Institut, Dezember 2021 (Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts | Projektergebnisse Nr. 61), DOI: https://doi.org/10.21241/ssoar.76248, ISSN 1435-9413, ISBN 978-3-87296-174-7. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz CC BY 4.0.
Zum Inhalt
„Corona wirkt wie ein Brennglas“ ist ein Satz, den wir in Zeiten der Pandemie häufig hören. Will heißen: Corona fokussiert den Blick auf gesellschaftliche Phänomene und verstärkt diese zugleich. Dies trifft auch auf die Dynamiken des Wahlkampfs im Superwahljahr 2021 zu.
Acht große Wahlen standen 2021 auf dem deutschen Wahlkalender: Neben der Bundestagswahl fanden fünf Landtags- und zwei landesweite Kommunalwahlen statt. Entsprechend waren die politischen Parteien mehr als gewöhnlich darauf bedacht, die Gunst der Wähler:innen für sich zu gewinnen. Aber wie dieser Wahlkampf geschieht, hat sich verändert: Verstärkt durch das erwähnte Brennglas rückten digitale Kommunikationsplattformen in den Fokus der Parteien. Der klassische Infostand in der Fußgängerzone verlor in Zeiten der Corona-Maßnahmen an Bedeutung. Und auch das Informationsverhalten der Wähler:innen hat sich verändert. Gerade – aber nicht nur – jüngere Menschen nutzen verstärkt Social Media als Quelle politischer Nachrichten. Hinzu tritt ein sich verändernder rechtlicher Rahmen. Der neue Medienstaatsvertrag ist erst seit Kurzem in Kraft, und auf europäischer Ebene entstehen Verordnungen, welche den digitalen Raum grundlegend (neu-)regeln wollen. Dazu kommt, dass Plattformen verstärkt gegen Desinformation vorgehen und ein robusteres Modell der Inhalte-Governance anwenden, das auch durch automatisierte Prozesse verstärkt wird.
Dieses Zusammenspiel aus einem für die Demokratie besonderen Jahr und der gestiegenen Bedeutung von Social Media im politischen Kontext war Anlass für das Projekt „
Platform Governance im Superwahljahr 2021“ des Leibniz-Instituts für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) in Hamburg. Unter Leitung von Prof. Dr. Matthias C. Kettemann untersuchte ein interdisziplinäres Team die Besonderheiten dieses Wahlkampfs mit dem Fokus auf Content Moderation auf Plattformen. Gefördert wurde das Projekt von reset.tech. Eine
Artikel-Serie auf dem Media Research Blog des HBI begleitete die Recherchen und informierte laufend über deren Ergebnisse. Einige der Blog-Artikel werden in diesem Arbeitspapier zweitveröffentlicht.
Die Artikel beschäftigen sich zunächst aus rechtswissenschaftlicher Perspektive mit den besonderen Bedingungen des Superwahljahrs 2021 (Autor:innen: Matthias C. Kettemann, Vincent Hofmann, Julius Böke, Max Gradulewski, Jan Reschke und Leif Thorian Schmied), mit dem rechtlichen Rahmen des Online-Bundestagswahlkampfs und den rechtlichen Verpflichtungen von Parteien und Plattformen (Autor:innen: Matthias C. Kettemann, Vincent Hofmann, Mara Barthelmes, Nicolas Koerrenz, Lena Marie Hinrichs und Linda Schleif) sowie den rechtlichen Entwicklungen hinsichtlich Plattformregulierung auf Bundes- und Europa-Ebene (Autor:in: Linda Schleif und Matthias C. Kettemann). Unter dem Titel „Wahl-Watching“ überprüften Mara Barthelmes, Vivienne Gold, Lena Hinrichs, Vincent Hofmann und Matthias C. Kettemann den Online-Wahlkampf zudem im Lichte des Leitfadens für digitale Demokratie. Und Vincent Hofmann widmete sich den rechtlichen Aspekten der (politischen) Werbung auf Social Media.
Außer den bekannten großen Social Media Plattformen agieren weitere, weniger sichtbare Akteure als quasi Content Moderator:innen. Dies sind u. a. die großen App Stores von Apple und Google. Diese moderieren Inhalte in schwer nachvollziehbarer Weise anhand vieldeutig formulierter Nutzungsbedingungen. Das geltende Recht bietet kaum wirksame Mittel, um die Grundrechte von Nutzer:innen oder App-Betreiber:innen zu schützen. Weiter gehen die Entwürfe von DSA und DMA, welche auch App Stores und andere Akteure in die Pflicht nehmen. Wie genau diese Pflichten aussehen und wer wie stark mitmoderiert, untersuchte Vincent.
Den Blick weg von den großen und hin zu mittleren und kleineren Plattformen wendet die Kommunikationswissenschaftlerin und Sozialarbeiterin Christina Dinar in ihrem Beitrag. Als zwar besonders aufwendig, aber auch besonders effektiv erwies sich die händische Moderation, bei der auch der Kontext von Inhalten berücksichtigt wird. Dabei kann die Einbindung der Community in die Moderation ein Mittel zur Förderung der Identifikation der Nutzer:innen mit der Plattform sein.
Eine Analyse der Tweets von Abgeordneten und Kandidierenden der Bundestagswahl auf Twitter, durchgeführt vom Computational Social Science Postdoc Felix Victor Münch, ergab, dass die Inhalte von AfD-Mitgliedern in relativ großem Umfang nach einer bestimmten Zeit nicht mehr öffentlich verfügbar waren. Dies könnte ein Zeichen dafür sein, dass ein „geschützter“ Raum ohne Gegenrede oder die Gefahr der Meldung von Inhalten geschaffen werden soll.
Der interdisziplinäre Blick auf verschiedene Frage- und Problemstellungen ermöglichte eine umfassende Analyse diverser Problemfelder. Teile der gewonnenen Erkenntnisse konnten als konkrete Handlungsempfehlungen für die europäische und nationale Gesetzgebung formuliert werden.
Die Hefte der Schriftenreihe
„Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts“ finden sich zum Download auf der Website des Instituts. Ein Ausdruck des Heftes ist gegen eine Schutzgebühr von 20,00 EUR direkt beim Verlag erhältlich.