In der digitalen Welt knüpfen Kinder und Jugendliche Beziehungen zu realen, fiktiven und artifiziellen Medienpersonen. Dies kann Risiken bergen. Das Dissertationsprojekt erforscht, inwieweit das Jugendmedienschutzrecht noch geeignet ist, die freie Persönlichkeitsentwicklung zu schützen.
Kinder und Jugendliche, die in digitalen Medienumgebungen aufwachsen, begegnen heute vielfältigen Erscheinungsformen von Medienpersonen. Die Auseinandersetzung mit Akteuren des Social Web, digitalen Assistenten und smarten Spielzeugen (Internet of Toys) kann zur Unterhaltung und Informationsbeschaffung dienen, ist aber auch unter dem Aspekt der Identitätsbildung bzw. Persönlichkeitsentwicklung relevant. Die Nutzung digitaler Angebote ermöglicht die Ausprägung neuer Formen von sozialen Beziehungen und Vertrauensverhältnissen. Neben traditionellen Face-to-Face-Beziehungen werden medienbasierte Bezugspartner von Heranwachsenden in ihre Beziehungsnetzwerke aufgenommen und ergänzen klassische Sozialisationsinstanzen wie Familie und Peers als mögliche Orientierungs- und Ratgeber, sowie als Vermittler von Werten und wünschenswerten Eigenschaften.
Das Dissertationsprojekt fragt nach Blickwinkel und Reichweite des bestehenden Rechts im Hinblick auf "mediatisierte und datafizierte Persönlichkeitsentwicklung” – Wie gestalten sich mediatisierte Beziehungen als Gegenstand rechtlicher Betrachtung? Und welche Begriffe findet der rechtliche Jugendmedienschutz, um spezifische Risikopotenziale zu rahmen?
Projektbeschreibung
In den Sozialwissenschaften und insbesondere der Mediatisierungs- und Medienwirkungsforschung findet sich eine Reihe von Konzepten und deskriptiven Ansätzen, die rezeptionsbedingte Verhältnisse „gefühlter Nähe“ in den Blick nehmen und sich mit Prozessen der Identifikation, Idolisierung, sowie der Herausbildung medienspezifischer Beziehungsmodi und Vertrauensverhältnisse beschäftigen. Die Forschung erkennt die Auseinandersetzung mit Medieninhalten und -figuren dabei als wichtige Entwicklungschance für Kinder und Jugendliche an und betont die mögliche positive Rolle der Mediennutzung bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben.
Zugleich ist die gesteigerte Soziabilität moderner Medienangebote aktuell Auslöser intensiver Diskussionen im Diskurs um die Bedingungen sicheren Aufwachsens innerhalb moderner Medienumgebungen. Insbesondere über das bewusste Ausspielen des Identifikationspotentials von Medienfiguren zu kommerziell-persuasiven Zwecken geraten mediale Bezugspartner als potentielle Quelle von Entwicklungsbeeinträchtigungen ins Blickfeld des Jugendmedienschutzes. Die Mediatisierung sozialer Lebenswelten lässt sich aus dieser Perspektive auch als eine fortschreitende Durchbrechung traditioneller Schutzräume des Aufwachsens mit zunehmend unübersichtlichen Entwicklungsrisiken beschreiben.
Mediatisierte Beziehungen als Gegenstand rechtlicher Betrachtung
Der rechtliche Jugendmedienschutz folgt – abgeleitet vor allem aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Allgemeinen Persönlichkeitsrecht – dem Auftrag, die Freiheit von Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung zu sichern. Als Ziel dieses rechtlich geschützten Entwicklungsprozesses stellt das Bundesverfassungsgerichts in seiner Rechtsprechung das Bild einer eigenverantwortlichen, gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit auf. An dieser übergeordneten Einordnung orientieren sich Interpretation und Schutzrichtung des einfachen Jugendmedienschutzrechts mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) als zentralem Regelungsrahmen.
Mit seinem traditionellen Fokus auf jugendgefährdende Wirkungen der Rezeption klassischer Massenmedien dominiert hierbei bislang ein auf Medieninhalte bezogenes Begriffsverständnis, das auf entsprechende Klassifizierungen möglicher Medienrisiken zurückgreifen kann.
Ausgehend davon stellt das Projekt die Fragen: An welcher Stelle und inwieweit spiegeln sich Risikopotentiale der Interaktion mit medialen Bezugs- und Beziehungspartnern im Begriffsraster des JMStV wider? Und wie gestaltet sich der Schutzumfang, wenn der Blick durch Heranziehung weiterer Regelungsrahmen – z.B. zu Produktsicherheit und Privatsphäre – ergänzt wird?
Unter Heranziehung des sozialwissenschaftlichen Kenntnisstands zu mediatisierten Beziehungen will das Projekt einen Beitrag zur weiteren Operationalisierbarkeit der Rechtsbegriffe des Jugendmedienschutzes im Hinblick auf neue Phänomene der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen leisten und ggf. juristische Handlungsbedarfe aufdecken.